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Widerrechtliche Wohnungsdurchsuchung

8. Juli 2018 Franz Heinz

1. Im Fall eines nur vagen Auffindeverdachtes muss die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung wegen der Schwere des Eingriffs ausnahmsweise eingehend im Durchsuchungsbeschluss begründet werden.

2. Die Strafverfolgungsbehörden müssen vor der Anordnung einer Durchsuchung andere grundrechtsschonendere Ermittlungsschritte vornehmen.

In mehreren anonymen Schreiben aus dem Jahr 2011 an die Staatsanwaltschaft Münster, die Polizei L., die Ärztekammer Münster und die Leitung des Landschaftsverbands W .in M. war ein früherer Kollege - Dr. B. - des Beschwerdeführers am Klinikum in I., der zugleich an der Klinik des Landschaftsverbands W tätig war, beschuldigt worden in der Klinik in L. eine 15 Jahre alte Patientin während ihres fünfwöchigen Aufenthalts im Sommer 2011 nachts unter Verabreichung von Medikamenten missbraucht zu haben. Die Staatsanwaltschaft Münster ermittelte daraufhin wegen Verdachts der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung gegen Dr. B.

Die anonymen Beschuldigungen erwiesen sich als grundlos, nachdem in der Klinik in L. im angegebenen Zeitraum keine Patientin diesen Alters über fünf Wochen in Behandlung war. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung im Dezember 2011 gab der frühere Kollege des Beschwerdeführers - Dr. B. - an, dass er sich nach der Bekanntgabe der Vorwürfe gegen ihn gemeinsam mit der Betriebsleitung überlegt habe, wer ein Interesse daran haben könnte ihm persönlich zu schaden. Er habe sich mit fast allen Mitarbeitern stets sehr gut verstanden, seit als Chefarzt der Neurologie sowohl in L. als auch in I. arbeite, außer dem von ihm namentlich benannten Beschwerdeführer, der bis zum September 2011 als Honorararzt für die Neurologie in I. tätig war. Mit ihm sei er wegen verschiedener Vorkommnisse in Streit gekommen.

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts der Verleumdung und der falschen Verdächtigung ordnete daraufhin das Amtsgericht Münster die Durchsuchung der Privatwohnung des Beschwerdeführers an, nachdem das Amtsgericht Münster den Tatverdacht als gegeben ansah. Das Landgericht Münster sah den hinreichenden Tatverdacht für die Anordnung der Durchsuchung ebenfalls als gegeben an. Die Rechtsmittel des Beschuldigten hatten keinen Erfolg. Der Beschwerdeführer wendete sich daraufhin im Wege der Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht gegen die Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts/Landgerichts Münster.     

Das BVerfG führte in der Begründung sinngemäß dazu aus:

Den verfassungsrechtlichen Maßstäben werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht. Die Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer war bezogen auf den geringen Grad des Anfangsverdachts und die weiteren zur Ermittlung zur Verfügung stehenden Maßnahmen unverhältnismäßig. Dies gilt schon ungeachtet der Frage, ob das mögliche Vorhandensein von Patientendaten auf dem privaten Laptop des Beschwerdeführers im Rahmen der Durchsuchungsanordnung zu einer Berücksichtigung seiner Stellung als Berufsgeheimnisträger hätte führen müssen.

Das Amtsgericht begründet die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung allein mit der Schwere der Vorwürfe; das Landgericht nimmt hierauf lediglich Bezug.

Grundsätzlich müssen weder im Durchsuchungsbeschluss und in der Beschwerdeentscheidung umfangreiche Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit erfolgen. Im Fall eines nur vagen Auffindeverdachtes muss die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung wegen der Schwere des Eingriffs jedoch eingehend begründet werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2014 – 2 BvR 9/10 -, NJW 2014, S. 2265 <2266>, Rn. 19, 23 jeweils m.w.N.).

Vorliegend hätten sich derartige Ausführungen angesichts der Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens aufdrängen müssen.

Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer fußte allein auf dem Vorliegen eines möglichen Motivs zur Schädigung Dr. B. aufgrund der von diesem geschilderten Auseinandersetzung mit dem Beschwerdeführer. Nachdem Dr. B in seiner Vernehmung durch die Polizei nicht nur den Beschwerdeführer, sondern auch weitere für die Täterschaft in Betracht kommende Personenkreise, insbesondere psychisch kranke Patienten und andere Mitarbeiter benannt hatte, hätten noch andere grundrechtsschonendere Ermittlungsschritte unternommen werden müssen, bevor die Durchsuchung hätte angeordnet werden dürfen. Diese Ermittlungsschritte hätten den ohnehin vagen Tatverdacht möglicherweise schon ausgeräumt, womit eine Durchsuchung vermieden worden wäre.
(vgl. zur Ausschöpfung grundrechtsschonenderer Ermittlungsschritte bei Vorliegen von auf eine Täterschaft des Beschwerdeführers hinweisenden Umständen mit allenfalls geringem Gewicht BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. November 2005 – 2 BvR 728/05 u.a. -, NStZ-RR 2006, S. 110).

So hätten zunächst weitere Mitarbeiter der Kliniken in I. und L. befragt werden müssen. Damit hätte das Verhältnis zwischen Dr. B. und dem Beschwerdeführer aus einer neutralen Perspektive weiter aufgeklärt werden können. Außerdem hätte die Befragung dazu beitragen können weitere mögliche Autoren der anonymen Briefe zu ermitteln.

Eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht zu erkennen, weil zwischen der Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Dezember 2011 und dem Erlass der (zweiten) Durchsuchungsanordnung im Beschluss des Amtsgerichts vom 10. April 2012 mehrere Monate vergingen, ohne dass die Staatsanwaltschaft im hier vorliegenden Ermittlungsverfahren andere weiterführende Ermittlungen angestellt hätte. Dieser Umstand führt im Übrigen auch dazu, dass sich das Fortbestehen eines Auffindeverdachts jedenfalls zu diesem Zeitpunkt als allenfalls vage darstellte.

Ohne weitere Ermittlungen durchzuführen beantragte die Staatsanwaltschaft Münster daraufhin am 12. Januar 2012 den Erlass eines Beschlusses zur Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers, zur Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel sowie zur Entnahme von Körperzellen des Beschwerdeführers für einen Abgleich mit DNA an den Briefmarken auf den sichergestellten anonymen Schreiben wegen des Verdachts eines Betruges, der Verleumdung und der falschen Verdächtigung.

BVerfG, Beschluss vom 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12

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